Die Begegnung mit dem ätherischen Christus, Teil 1

Aus der laufenden Arbeit an der Einleitung zur zweiten Auflage der Neuen Erfahrung des Übersinnlichen

 

Aus der neuen Einleitung

Wir haben oben die Christus-Erfahrung des Paulus vor den Toren von Damaskus als den Beginn der Durchchristung des Denkens beschrieben, die das westliche Denken in den letzten 2000 Jahren spiritualisiert hat. Dasselbe gilt für die moderne paulinische Erfahrung der Wiederkunft. Dank der geisteswissenschaftlichen Erforschung dieses Ereignisses ist es möglich, einige seiner zentralen Aspekte zu erläutern.

Zu diesem Zweck wollen wir uns zunächst den ersten Absatz von Kapitel 4, Die moderne Christus-Erfahrung – Die Begegnung mit dem neuen Initiator, vor Augen führen. In diesem Kapitel wird die gegebene Christus-Erfahrung beschrieben, in welcher der Christus dem menschlichen „Ich“ die Samen-Essenz oder „Kopie“ Seines Selbst anbietet und sie als Samen für die zukünftige Umwandlung in Geist, Seele und Leib einpflanzt, dabei gleichzeitig seine zukünftige Entwicklung aufzeigend:

Es gibt drei Hauptelemente oder Stufen in dieser Begegnung, die zwar in der konkreten Erfahrung eine Einheit bilden, hier aber um der Klarheit willen getrennt beschrieben werden.

Die erste Stufe könnte als Auferstehung und Erwachen der Seele aus dem Tod durch die Imagination der ätherischen Erscheinung des Christus beschrieben werden.

Die zweite ist die Heilung und Verwandlung der Seele durch die Inspiration Seiner lebendigen Worte.

Die dritte Stufe könnte als das Entfachen und Nähren des ewigen Feuers des Selbst innerhalb des physischen Leibes durch die Intuition seiner aktiven Gegenwart beschrieben werden.

Die phänomenologische Erforschung der drei Stufen wird im 4. Kapitel beschrieben und wird im 5. Kapitel anhand des Erkenntnisdramas der Wiederkunft individualisiert und rekapituliert. Für das Erkenntnisdrama der Wiederkunft dient die in der Christus-Erfahrung angebotene und empfangene Ich-Kopie als Archetyp und Urform, entsprechend denen die geisteswissenschaftliche Untersuchung dieses Ereignisses erfolgt und die es uns ermöglicht, seine einzigartige Natur zu verstehen.

Der bedeutendste Aspekt der modernen Christus-Erfahrung lässt sich unter diesem Gesichtspunkt folgendermaßen beschreiben. 

Wenn wir in das Licht geistiger Erkenntnis bringen, was in diesem Ereignis geschieht – während des Angebotes und der Aufnahme des Christus-„Ich“ in unser eigenes „Ich“ – stellen wir fest, dass hier zwei Aspekte des menschlichen Lebens in einem Ereignis vereint sind, die im gewöhnlichen Bewusstsein vollständig voneinander getrennt sind: die unbewusste Realität der geistigen Welt und die selbstbewusste „Ich“-Erfahrung in der physischen Welt. Die Erde ist der einzige Ort im Universum, an dem wir durch die Inkarnation in einem physischen Leib das Selbstbewusstsein entwickeln können. Wenn wir uns im physischen Leib inkarnieren, geben wir unser geistiges Bewusstsein auf, das während des irdischen Lebens in einem Zustand tief unbewussten Schlafs verbleibt. In dem Augenblick, in dem sich das menschliche „Ich“ und das Christus-“Ich” in der ätherischen Welt von Angesicht zu Angesicht begegnen und ein Abdruck des Christus-“Ich” in das menschliche „Ich“ eingepflanzt wird, da werden diese beiden getrennten Bewusstseinszustände zu einem Bewusstseinszustand in der ätherischen Welt. In diesem Augenblick wird unser physisches Selbstbewusstsein aus dem physischen Leib und der physischen Welt erhoben in den Ätherleib und die Ätherwelt, löst sich dort jedoch nicht auf, wie es sonst im Schlaf und nach dem Tod geschieht. Vielmehr wird es zu einem vergeistigten Selbstbewusstsein, das als eigenständiger Teil der ätherischen Welt erlebt wird.

Wir müssen uns also eine vollkommen neue geistige Situation und ein vollkommen neues geistiges Ereignis vorstellen, in denen wir uns bei dieser Begegnung befinden. Diese neue Situation ist ein intensives ätherisches Ereignis, und die Welt, in der es gebildet und gegründet ist, ist die ätherische Welt. Übersinnliches Selbstbewusstsein ist der neue, in diesem Ereignis errichtete Zustand des Bewusstseins. Das heißt, bei diesem Treffen verschmelzen die beiden einander auf der Erde ausschließenden Bewusstseinszustände miteinander und schaffen einen dritten und völlig neuen

Bewusstseinszustand: selbstbewusstes geistiges Bewusstsein. Das gewöhnliche, vollständig wache Selbstbewusstsein und das unbewusste spirituelle Bewusstsein, im modernen Leben völlig

voneinander getrennt, verschmelzen miteinander, und ihre Essenzen werden untereinander getauscht und umgewandelt. Das unbewusste geistige Bewusstsein wird selbstbewusst, und das physische Selbstbewusstsein wird vergeistigt. Beide Bewusstseinszustände durchdringen sich gegenseitig, und jeder wird durch den anderen wiedergeboren und vergeistigt. Dieser Wesenstausch vollzieht sich im Geben und Empfangen der “Ich”-Kopie des Christus, und das Licht, das sie zum vollen geistigen Selbstbewusstsein bringt, ist das „Gralslicht“, wie wir durch Rudolf Steiner wissen. (Wir lernen „im Anblick jener heiligen Schale das Mysterium von dem Christus-Ich … kennen …, um das Christus-Ich im Anblick des Heiligen Gral zu empfangen.“ Vortrag vom 11.4.1909, GA 109, S.117f, Dornach 1965. Wie wir weiter unten sehen werden, wird die geistige Quelle dieses Lichtes erst später, bei weiteren geisteswissenschaftlichen Untersuchungen, bekannt und offenbart sich als die übersinnliche Wesenheit der Anthroposophia. Zunächst aber wird dieses die Begegnung mit dem Christus erhellende Licht als fester Bestandteil des geschenkten Ereignisses gegeben, und wir unterscheiden es nicht vom gesamten Geschehen).

Die Vergeistigung des Selbstbewusstseins verändert auch auf einschneidende Weise unsere Wahrnehmung und unser Verständnis dessen, was das „Ich“ wirklich ist. Weil das Selbstbewusstsein, das Wissen, dass das „Ich“ ein „Ich“ ist und eine unabhängige Existenz in der Welt hat, vergeistigt wird, wird man sich der Tatsache bewusst, dass das wahre „Ich“ ein universelles, ja kosmisches, geistiges Wesen ist; und das wahre geistige „Ich“ ist ein Teil einer neuen geistigen Welt. Und so wie die physische Welt mit ihren Kräften und Substanzen den physischen Leib aufbaut und formt, durch den wir unser gewöhnliches Selbstbewusstsein erlangen, so tut es die ätherische Welt hinsichtlich unseres Ätherleibes und der neuen Beschaffenheit des geistigen Selbstbewusstseins. Das heißt, in diesem Ereignis wird eine objektive übersinnliche Wirklichkeit – das geistige Wesen des in der ätherischen Welt offenbarten Christus – als die gestaltende Quelle und Kraft eines neuen geistigen Selbstbewusstseins erfahren, das sich bisher nur in der physischen Welt zu individualisieren vermochte. So wie die physische Welt das physische Selbstbewusstsein schenkt, so schenkt uns der ätherische Christus in der ätherischen Welt das geistige Selbstbewusstsein. Dieses ätherische, imaginative Selbstbewusstsein ist ein neu geschenkter Bewusstseinszustand, der durch Christi imaginative Erscheinung, Worte und Taten gnadenvoll angeboten wird, und das ist der Grund, warum das Geben und Empfangen seines „Ich“ in äußerst deutlicher, klarer und selbstbewusster imaginativer Wahrnehmung stattfindet.

 Wollen wir diese Situation und dieses Ereignis zutreffend darstellen, so müssen wir aus der Sicht der modernen Geisteswissenschaft sagen: In der imaginativ wahrgenommenen Welt erscheint ein Wesen – das einzige dieser Art in unserer Welt -, durch dessen ätherische Erscheinung und dessen ätherischen Werdeprozess, die sich im menschlichen Ich und durch das menschliche Ich vollziehen – die Totalität der Idee, die des göttlichen Urbildes des Menschen in Geist, Seele und Leibes, unmittelbar erfahren werden kann. Wir erleben und sehen uns selbst durch das uns einwohnende Christus-„Ich“ in unserem eigenen „Ich“ im Lichte der zukünftigen Ganzheit und Fülle unserer göttlichen Natur; sie erscheint ausgebreitet in der immerwährenden Zeit, als ein vollkommener Werde-Strom aus der entferntesten Vergangenheit bis in die ferne Zukunft. In dieser Begegnung und in diesem Essenz-Austausch sind wir jedoch keine außenstehenden Zuschauer wie in der physischen Welt; wir nehmen innerlich und aktiv an diesem Ereignis teil; es ist ein dynamisches und in der Tat – wie wir gleich sehen werden – wechselseitiges Ereignis; wir wissen, dass das Wesen, welches in der äußeren, objektiven ätherischen Welt erscheint, unser eigenes Höheres Selbst ist, dass wir in diesem Moment aus unserem physischen Leib und unserem gewöhnlichen Selbstbewusstsein herausgehoben und gnadevoll hineingenommen werden in sein Wesen, und dass wir in derselben lebendigen Zeit – ätherisch gesprochen – seine ätherische Erscheinung, seine Worte und Taten aufnehmen und durch sie sein „Ich“ aufnehmen in unser „Ich“, in unsere Seele und unseren Leib. Wie in Kapitel 10 von Michaelisches Yoga gezeigt wird, ist dies ein beiderseitiges Werden: Er nimmt die Essenz unseres irdisch-menschlichen Seins in sein göttliches „Ich“ auf und wir nehmen die Essenz seines „Ich“ in unser irdisch-menschliches Sein auf. Indem unser geistiges Selbstbewusstsein in Seinem Wesen wohnt, werden wir zu einem ewigen Teil Seines Wesens; und indem Er in unserem Wesen wohnt, wird Sein Wesen ein ewiger Teil von uns. Und wir sind uns der Tatsache bewusst, dass dieses Ereignis ein kosmisches Geschehen ist und dass wir zu aktiven und schöpferischen ätherischen Teilnehmern an einem Welt-Werdeprozess werden, der in der weit geöffneten ätherischen Welt stattfindet. Wir spüren, dass das ganze Universum mit uns und durch uns an diesem Menschen- und Welt-Werdeprozess teilnimmt, und wir wissen: Durch das gegebene „Ich“ des ätherischen Christus verwirklichen wir den unendlichen Werdeprozess unserer zukünftigen Menschheit, denn dieses „Ich“ verkörpert (stets) zu jeder Zeitperiode den göttlichen Archetyp und die Fülle unseres menschlich-kosmischen Werdens …