Wie das Buch „Von Seelenrätseln“ mein Leben veränderte

Wie das Buch Von Seelenrätseln mein Leben veränderte

Auszug aus dem Buch:
Die drei Begegnungen 
Christus, Michael und Anthroposophia

Aus Kapitel 3: Der platonisch-aristotelische Wesenstausch Ende des 20. Jahrhunderts

Ende meiner 20er- und Anfang meiner 30er-Jahre wurde dies zu einer existenziellen Situation, in der „Erkenntnis“ auf der ätherischen Seite als lebensspendend erlebt wurde, weil sie mich mit der Quelle des Lebens verband, aber auf der irdischen Seite zugleich als voller Rätsel und Hindernisse. Ich war in einer Position, in der ich mir sagen konnte: Während meiner 20er-Jahre hat sich die Kluft zwischen dem Erleben des ätherischen Christus und dem spiritualisierten Denken von oben nach unten in der Tat beträchtlich verringert, und der Brückenbau schritt erfolgreich voran. Aber das entscheidende Problem der Spiritualisierung des gewöhnlichen Bewusstseins in der physischen Welt blieb ungelöst, und die Brücke konnte nur zur Hälfte fertiggestellt werden. Während es mir relativ leicht fiel, mein imaginatives Erkennen mit dem reinen Denken zu vereinen, konnte ich keinen Weg finden, die gehirngebundenen Kräfte des physischen Erkennens, in denen das irdische Selbstbewusstsein überhaupt erst geschaffen wird, zu spiritualisieren. Und das erlaubte mir nicht, den Teil der Brücke zu bauen, der auch von unten nach oben führen muss, vom physischen Bewusstsein zum imaginativen Bewusstsein. Ich konnte das reine Denken direkt in meinem Ätherleib erleben, unter Umgehung der gewöhnlichen physischen Erkenntnis, während ich große Schwierigkeiten hatte (zum Beispiel in meinem naturwissenschaftlichen Studium 1976-1979), formales intellektuelles Denken zu bewältigen und mich an die konkreten isolierten Details von Sinneswahrnehmungen zu erinnern. Es war für mich entsetzlich schwer, grundlegende Schulaufgaben der elementaren Mathematik und Physik zu lösen, die meine Kameraden ohne jede Anstrengung bewältigten, oder die Ergebnisse der Experimente im Labor im physischen Gedächtnis zu verankern und sie mit klaren begrifflichen Umrissen und Abgrenzungen zu erfassen. Andererseits aber erfasste ich intuitiv die wesentlichen Ideen jeder wissenschaftlichen Disziplin, für die sich meine Kameraden überhaupt nicht interessierten. Dass ich in jedem Augenblick mein spiritualisiertes Denken entzünden und mit meiner imaginativen Erkenntnis vereinen konnte, war dem Einströmen der ätherischen Kräfte aus der gegebenen Christus-Erfahrung in der ätherischen Welt zu verdanken. Nun suchte ich aber nach einem Weg, die entgegengesetzte Kraft zu entwickeln, die es mir erlauben würde, mich richtig in das physische Sinnes- und Nervensystem zu inkarnieren und es zu vergeistigen. Aber ich konnte zu diesem Zweck nicht einfach diesen ätherischen Strom in das Gehirn übergehen lassen. Zwischen dem ätherischen Erkennen und dem mit ihm verbundenen spiritualisierten Denken und dem physischen Gehirn gab es einen unüberbrückbaren Abgrund. Auch wenn dies paradox erscheinen muss, so ist es doch eine Tatsache, dass ich zunächst Hilfe brauchte, um erstens zu einer gewöhnlichen intellektuellen und sinnesmäßigen Erkenntnis zu gelangen, um zweitens diese dann zu vergeistigen. Natürlich, idealer Weise, war mein Vorbild die Verwirklichung der paulinischen Methode, „den Tod in das Leben aufzunehmen“, die ich als die Essenz der modernen Christus-Erfahrung erlebte. Das war keine abstrakte Formulierung oder Idee, sondern ein tatsächliches Lebensrätsel und eine existenzielle Bewährungsprobe. Aber ich fand nicht den Weg, die Kräfte zu erzeugen, mit denen ich den Kräften des physischen Gehirns entgegentreten und sie umwandeln konnte – den Kräften, durch die Ahriman das moderne Denken und die moderne Sinneswahrnehmung kontrolliert.

Ich erkannte, dass mein intuitives Denken ständig „von oben“ verlebendigt und im Ätherleib erfahren wurde, ohne dass es eine vollständig bewusste Inkarnation im Nervensinnessystem durchlief und ohne eine bewusste Konfrontation mit den Todeskräften, die das moderne Bewusstsein kontrollieren. Mit anderen Worten: Das spiritualisierte Denken, das ich benutzte, um meine imaginative Wahrnehmung zur voll bewussten übersinnlichen Erkenntnis zu bringen, floss nicht von der ätherischen in die physische Welt; es blieb im ätherischen Leib in der Ätherwelt aktiv; und ich konnte meine imaginativen Fähigkeiten nicht dazu bringen, das physische Gehirn zu durchdringen und dessen intellektuellen Kräfte von innen heraus zu verwandeln. Ich wusste, dass ich auf irgendeine Weise freiwillig einige dieser ätherischen Kräfte und einen Teil der bewusst erworbenen imaginativen Fähigkeiten „de-spiritualisieren“, „devitalisieren“, „herabstufen“ und in der Tat auch töten musste. Und ich wusste, ich würde die Kräfte erzeugen müssen, die es mir erlauben würden, bewusst in das physische Gehirn und die physischen Sinne und das auf ihnen basierende gewöhnliche Bewusstsein einzutreten und sie von innen nach oben zu spiritualisieren.

Dies ist zu unterscheiden von der Fähigkeit, von oben in den Ätherleib hineinzuwirken, denn auf diese Weise gelangt man nur so weit hinunter, dass man die ätherischen Korrelate der geistigen Erfahrungen, die man erforscht, in den Ätherleib einprägt; aber man kann den ahrimanischen Kräften im physischen Gehirn, die das moderne Denken im physischen Leib und in der Welt beherrschen, nicht von oben entgegentreten und sie überwinden.

Das Problem, dem ich mich im zweiten Teil meines ersten Lebensabschnitts, beginnend mit meinen 30er-Jahren, gegenübergestellt sah, war also nicht mehr, wie ich das spiritualisierte Denken mit der imaginativen Erkenntnis verbinden konnte, sondern wie ich die imaginativen Kräfte herabbringen und so weit verdichten konnte, dass sie zu einer Erkenntniskraft innerhalb des physischen Körpers wurden. Es bedurfte einer spezifisch geeigneten Denkmethode, um eine so intensive geistige Kraft zu entwickeln, die in der Lage ist, das gegebene Imaginationssvermögen so zu de-spiritualisieren und zu verdichten, dass es – als radikal umgewandelte spirituelle Kraft – in das physische Gehirn eindringen kann. Was diesen schwierigen und tiefsten Abgrund anbelangte, so verblieb ich in meiner gespaltenen Seelen- und Lebenssituation, ohne die Brückenbauarbeit wesentlich weiter vorantreiben zu können.

Das änderte sich, nachdem ich im Lichte dieser Situation wieder Rudolf Steiners Buch Von Seelenrätseln aus dem Schlüsseljahr 1917 las, das er dem damals vor kurzem verstorbenen Franz Brentano gewidmet hatte, dem ausgezeichneten Denker und Kommentator des Aristoteles. Von Seelenrätseln fügte etwas Neues hinzu, das ich in dem, was Rudolf Steiner bis 1917 schrieb und sagte, nicht hatte finden können.

Bei meinem wiederholten Vertiefen in das Buch Von Seelenrätseln erlebte ich zum ersten Mal eine Ahnung einer neuen Erkenntniskraft, einer aktiven, viel intensiveren und durchdringenderen Kraft. Als ich das Buch mit den Kräften der Verstandesseele las, erlebte ich erneut eine innere Erleuchtung, wie ich sie 14 Jahre zuvor beim ersten Lesen der Philosophie der Freiheit erlebt hatte. Aber die Bedeutung und Richtung der beiden Erleuchtungen war eine genau entgegengesetzte. Beim Lesen der Philosophie der Freiheit erlebte ich, dass ich durch meine freie geistige Tätigkeit dasselbe ätherische Licht hervorbringe, das ich in der ätherischen Welt erlebt habe und das den ätherischen Christus beleuchtete. Bei der Lektüre des Buches Von Seelenrätseln hingegen wurde die Erleuchtung aus der entgegengesetzten Richtung erlebt. Sie wurde als „Verdichtung des Lichtes“ erlebt, gefolgt von einer gewissen Verdunkelung seiner astralen und ätherischen Ausstrahlung. Ich erkannte, dass ich mit Rudolf Steiners neuen Kräften von 1917 beginnen konnte, einen Teil der ätherischen und imaginativen Erfahrungen, Kräfte und Fähigkeiten zu verdichten, zu devitalisieren, zu ent-spiritualisieren und sie bewusst zu ‚töten‘ und sie in dieser ent-spiritualisierten Form bis hin zum physischen Gehirn und zum gewöhnlichen Bewusstsein zu bringen. Ich spürte, dass ich durch diese neue Erkenntniskraft zum ersten Mal in der Lage sein würde, in das tote intellektuelle Denken und die Bildung von gehirngebundenen Verstandesbildern, Vorstellungen und Begriffen einzutreten. Nachdem man sich in der ätherisch-physischen Grenze des irdischen Bewusstseins gut gegründet hatte, konnte man einen weiteren Schritt tun. Man konnte das Ätherische gänzlich loslassen und in das physische Gehirn so eintreten, gewissermaßen nackt und alleine, und sich mit seinen Todeskräften von Angesicht zu Angesicht konfrontieren, wie sie den ätherischen Leib in jedem Akt physischen Denkens und Wahrnehmens aufsaugen und zerstören. Und dann, wenn diese Konfrontation erfolgreich ist, könnte man sich sozusagen „umdrehen“ und diese todbringenden Kräfte spiritualisieren; man wäre in der Lage – so sagte ich mir bei der Lektüre des Buches Von Seelenrätseln -, sie wieder auferstehen zu lassen und sie aus dem Grab des Gehirns „aufwärts“ arbeiten zu lassen zum Ätherleib und zur Welt …